Das war die DOSSIER-Academy 2022

Ist das noch ein Journalismus-Workshop oder schon eine Konferenz? Mit dem »Tag des grenzenlosen Journalismus« haben wir die DOSSIER-Academy weiterentwickelt.

6.5.2022 

Investigative Kriegsberichterstattung, Journalist·innen auf der Flucht vor Verfolgung, Recherchen, die grenzübergreifende Missstände aufdecken: Die DOSSIER-Academy 2022 war ein »Tag des grenzenlosen Journalismus«. Mit nationalen wie internationalen Gästen sowie einhundert Teilnehmer·innen ging die Academy am 30. April 2022 im Volkstheater Wien erstmals als ausgewachsene Journalismuskonferenz über die Bühne. Hier finden Sie einen Überblick über das Programm.

Samstag, 30. Mai 2022, 10:00 Uhr: Auf der Bühne der Roten Bar des Volkstheater Wien nimmt etwas Neues Form an. Die DOSSIER-Academy 2022 beginnt. Vor knapp 100 Teilnehmer·innen eröffnen die DOSSIER-Redakteur·innen Sahel Zarinfard und Georg Eckelsberger den Tag. 

Seit 2014 bietet DOSSIER eine kostenlose Weiterbildung für investigativen und Datenjournalismus an – Corona stellte aber auch unsere Workshops vor Herausforderungen. »Unsere Optionen waren: entweder aufhören oder die Academy größer denken! Das Ergebnis ist diese Investigativkonferenz«, sagten Zarinfard und Eckelsberger in ihren Willkommensworten. 

Eine Konferenz dieser Art mit dem thematischen Fokus auf grenzübergreifende und investigative Recherche gibt es nicht – aber genau das braucht es. Gerade in einer Zeit, in der korrupte Machenschaften und kriegerische Auseinandersetzungen auf globaler Ebene stattfinden, müssen auch Journalist·innen vermehrt über die eigenen Landesgrenzen hinweg denken und mit Kolleg·innen vor Ort kooperieren. 

10:45 Uhr, Rote Bar: Den Auftakt macht die investigative Journalistin Alisa Yurchenko. Die stellvertretende Chefredakteurin der Antikorruptionsplattform Bihus.info musste im März 2022 von Kyiv nach Wien flüchten und berichtet seither von hier aus über den Krieg in ihrer Heimat. 

In ihrer Keynote berichtet Yurchenko, wie ihre Redaktion innerhalb kürzester Zeit einen Schwenk vollzog – von Berichterstattung über Korruption und Misswirtschaft der ukrainischen Regierung zu Recherchen über russische Kriegsverbrechen. Manche ihrer Arbeitskollegen und der Anwalt des Mediums tragen mittlerweile Uniform und kämpfen als Soldaten.

12:15 Uhr, Rote Bar: Die Theaterregisseurin und freischaffende Journalistin Inga Lizengevic reist von Berlin nach Wien, um bei der Konferenz über ihre umfassende Recherche zur prekären Lage von ukrainischen Leihmüttern zu erzählen. Als gebürtige Russin, die in Russland, Belarus und der Ukraine aufgewachsen ist, hat sie neben der persönlichen Verbindung zur Region auch die sprachliche Kompetenz, um das Thema der Leihmutterschaft zu recherchieren. 

Knapp zwei Jahre lang arbeitete sie an ihrem Radiofeature, in dem Leihmütter auf der einen Seite und Paare mit einem unerfüllten Kinderwunsch auf der anderen Seite ausführlich zu Wort kommen. Dazwischen steht eine Agentur, die an der misslichen Lage aller Betroffenen kräftig mitverdient – und die auf Lizengevics Recherchen mit Klagsdrohungen und anderen Einschüchterungsversuchen reagiert hat.   

12:15 Uhr, Salon: Full House für die Transparenz-Kämpfer! Das DOSSIER-Academy-Publikum entpuppt sich spätestens zu Mittag als – im besten Sinne des Wortes – »nerdy«. Der Workshop mit dem etwas sperrigen Titel »Eigentümerregister und Auskunftspflicht effektiv nutzen« ist gesteckt voll. Markus Hametner und Mathias Huter (beide Forum Informationsfreiheit) teilen ihr Wissen mit den gebannten Teilnehmer·innen.

14:20 Uhr, Rote Bar: Nikolai Atefie ist aus Schweden angereist, gemeinsam mit Georg Eckelsberger (beide DOSSIER) nimmt er die Academy jedoch mit auf eine andere Reise: Ihre Recherche über den Hintermann der größten Pornoplattform Pornhub führte sie von Kanada nach Hongkong und über London schließlich nach Ansfelden, eine Ortschaft in der Umgebung von Linz, in der die DOSSIER-Redakteure endlich fündig wurden. Besonders interessierte die Teilnehmer·innen bei der Spur des Pornhub-Phantoms, wie Nikolai zwischen oberösterreichischen Vierkanthöfen und Mähdreschern – möglichst unauffällig – nach dem Pornokönig forschte.

14:20 Uhr, Salon: Das Interesse an den Recherchen von Ashwien Sankholkar über die OMV war groß. Alle 30 verfügbaren Plätze im Salon des Volkstheaters waren besetzt. Erst wenige Tage zuvor veröffentlichte DOSSIER die neueste OMV-Story: »Das Vermächtnis des Ölprinzen«. Ashwien erzählte, wie er sein Netzwerk an Informant·innen aufbaute und wieso seine Enthüllungen über Privatjetreisen & OMV-Partys sowie das Sponsoring für Wladimir Putins Lieblingsfußballklub für so viel Wirbel sorgten – und schließlich zum Rücktritt des CEO Rainer Seele führten.

15:30 Uhr, Rote Bar: Roman Anin ist einer der prominentesten und produktivsten Investigativjournalisten Russlands – das Land musste er allerdings mittlerweile verlassen: Sein Medium iStories wurde vom Kreml als »undesirable organization« eingestuft – im Klartext heißt das: Jegliche Publikation wurde unter Strafe gestellt. Den Academy-Teilnehmer·innen berichtet Anin im Interview mit Georg Eckelsberger von einer kafkaesken Strafverfolgung und wie die russische Regierung vehement versucht, ihn mundtot zu machen.

16:30 Uhr, Rote Bar: Mit Julia Wallace (OCCRP) und Michael Nikbakhsh (Profil) geht es am Ende des Programms noch einmal ans Eingemachte: Gemeinsam mit DOSSIER-Chefredakteur Florian Skrabal erörtern sie ihr Cross-Border-Projekt The Russian Asset Tracker. Wie kann man recherchieren, ob ein Schloss in der österreichischen Provinz einem russischen Oligarchen gehört? Worin bestehen die Tücken, wenn internationale Medien je nach Land ein wenig anders ticken? Wallace gibt daraufhin einen exklusiven Einblick in die Strukturen des OCCRP-Netzwerks, und Nikbakhsh sorgt mit humoristischer Klinge und seinen Schilderungen über kulturelle Eigenheiten österreichischer und internationaler Medien für gute Stimmung.