Konferenz 2023

Was ist »Public Value« im Journalismus und wer trägt dazu bei? Eine Frage, die  angesichts der Finanzierungs- und Glaubwürdigkeitskrise in der Medienbranche besonders aktuell ist. Gemeinsam mit internationalen Gästen haben wir bei der ganztägigen DOSSIER-Konferenz am 13. Mai 2023 darüber diskutiert und in Vorträgen und Workshops Lösungen vorgestellt, wie Recherchen im öffentlichen Interesse gelingen. 

Einhundert Teilnehmer·innen und zehn Vortragende ermöglichten eine lebendige Auseinandersetzung über investigativen Journalismus – über redaktionelle und nationale Grenzen hinweg. Lesen und hören Sie hier nach, wie unser Tag des Journalismus über die Bühne gegangen ist. Im Laufe der kommenden Wochen stellen wir die Vorträge als Podcasts online – einige der Vorträge werden exklusiv für DOSSIER-Mitglieder verfügbar sein. 

10.00 Uhr

Es ist die Kernfrage, die beim Eröffnungspanel zur Diskussion stand: Was bedeutet »Public Value« – der öffentliche Mehrwert von Journalismus? Liegen Unterhaltungsprogramme und Übertragungsrechte für Sportereignisse, für die Österreichs Öffentlich-Rechtlicher jährlich Millionen ausgibt, ebenfalls im öffentlichen Interesse – oder sollten mit diesen Ausgaben nur investigative Recherchen und Bildungsprogramme finanziert werden? 

Darüber diskutierten die emeritierte Kommunikationswissenschaftlerin Irene Neverla von der Universität Hamburg, die aktuell auch im Public-Value-Beirat der Medienbehörde Komm Austria sitzt, Klaus Unterberger, Leiter des Public-Value-Kompetenzzentrums des ORF, und DOSSIER-Chefredakteur Florian Skrabal. Der Einfluss des Public-Value-Beirats auf die Programmgestaltung sei sehr begrenzt, sagte Neverla und bezeichnete das Gremium als »zahnlos«. Unterberger hielt dagegen, ein staatlicher Tiger mit Zähnen sei zu gefährlich, um über journalistische Inhalte zu entscheiden.

Folgen Sie in unserem Podcast der knapp einstündigen Diskussion, erfahren Sie mehr über den öffentlichen Mehrwert von Journalismus und wie er sich in Zukunft finanzieren lässt.

11.30 Uhr

Eigens aus Amsterdam angereist, erzählte der renommierte Investigativreporter Ilya Lozovsky von seiner jüngsten Recherche, die am Schauplatz des Geschehens, in Kirgistan, zu Revolten, einem Regierungsumsturz und jahrelangen Gerichtsverfahren führte. Lozovsky, der als Senior Editor für das Journalismus-Netzwerk OCCRP (Organized Crime and Corruption Reporting Project) arbeitet, musste für diese Investigation die Spur eines Kriminalfalls aufnehmen, die kurz vor Veröffentlichung seiner Informationsquelle das Leben gekostet hat.

13.30 Uhr

Einer der ganz großen Investigativreporter nahm den Weg aus Schweden auf sich, um in Wien daran zu erinnern, was im Journalismus das wichtigste Gut ist: Faktentreue, Fairness und die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion. Der vielfach preisgekrönte Nils Hanson war mehr als 15 Jahre Chefredakteur der Sendung Mission Investigate im öffentlichen-rechtlichen Rundfunk Schwedens (SVT) und vermittelte in seinem Workshop das Einmaleins der Qualitätskontrolle bei umfangreichen Recherchen. Die von ihm entwickelten Standards, um Fehler zu reduzieren, werden in ganz Schweden in Redaktionen angewendet – und künftig auch in die Arbeit von DOSSIER einfließen.

15.30 Uhr

Evangelista Sie und Malter Werner von Netzwerk Recherche aus Berlin brachten Licht in einen wenig beleuchteten Bereich im österreichischen Journalismus: Wie lassen sich eigene Projekte und journalistische Ideen umsetzen und welche Fördermöglichkeiten gibt es? In einem Kompaktkurs zeigten sie die wichtigsten Stiftungen und Anlaufstellen in Europa und beschrieben die zentralen Schritte für die Einreichung. Wer mit dem Gedanken spielt, ein Medium zu gründen, oder für eine besondere Recherche Finanzierung benötigt, findet bei Netzwerk Recherche einen Überblick.

17.30 Uhr

In der Abschlussrunde »Gemeinnützigkeit ≠ für lau« stand die Gretchenfrage im Zentrum: Wie sollen investigative Recherchen im öffentlichen Interesse finanziert werden? Petra Stuiber, stellvertretende Chefredakteurin des Standard, beschrieb, wie ihre Redaktion versucht, den Spagat zwischen aktueller Berichterstattung und aufwendigen Projekten hinzubekommen. Dafür seien in der Organisation Ressourcen freigemacht und Abläufe angepasst worden. Thomas Schnedler von Netzwerk Recherche brachte in die Diskussion die Forderung mit ein, Journalismus als gemeinnützig anzuerkennen – untermauert von aktuellen Studienergebnissen, die DOSSIER-Redakteurin Julia Herrnböck aus ihrer Dissertation vorstellte. Deren Essenz: Von Recherchen, die gesellschaftliche Missstände ans Licht bringen, profitieren auch jene Menschen, die nicht dafür bezahlen.

*Noch ein Buchtipp für jene, die mehr zu dem Thema wissen wollen: James T. Hamilton von der Universität Stanford hat sich in "Democracy’s Detectives" eingehend mit der Ökonomie von  investigativem Journalismus beschäftigt.